Mit einem ausverkauften Konzert der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Sir Roger Norrington endet morgen Abend (Samstag, 20. April) der 17. „Heidelberger Frühling“. Das internationale Musikfestival führt zum Abschluss erstmals den diesjährigen „Artist in Residence“ und neuen Leiter seiner Kammermusik Akademie, den Pianisten Igor Levit, als Solisten mit dem renommierten Klangkörper zusammen. Auf dem Programm stehen Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre „Ruy Blas“, das Klavierkonzert a-Moll op. 54 von Robert Schumann und Antonín Dvořáks Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der neuen Welt“. Mit 34.700 Besuchern bei 138 Veranstaltungen seit dem 16. März übertrifft der „Heidelberger Frühling“ den Vorjahresrekord von 33.800 Besuchern. Zu den Höhepunkten der Saison, die unter dem Motto „Perspektiven“ stand, zählten neben Auftritten von Größen wie der Mezzosopranistin Elīna Garanča, dem Pianisten Grigory Sokolov und dem Geiger Joshua Bell die deutsche Erstaufführung von Heinz Holligers Liederzyklus „LUNEA“ mit dem Bariton Christian Gerhaher und dem Pianisten Gerold Huber im Beisein des Komponisten. Nationale Beachtung fand zudem die Uraufführung einer Koproduktion des „Frühling“ mit John Neumeiers Bundesjugendballett, zu der unter anderem Neumeier selbst eine neue Choreografie beisteuerte: Der Abend mit dem Titel „Folk Songs“ wird dieses Jahr auch noch auf Kampnagel in Hamburg, bei den Hamburger Ballettagen und beim Festival „Young Euro Classic“ im Berliner Konzerthaus aufgeführt.
Um der Bedeutung der Vermittlung von Kunst und Musik national noch mehr Gehör zu verschaffen, hat das Festival dieses Jahr erstmals den „Musikpreis des Heidelberger Frühling“ verliehen. Er ist mit 10.000 Euro dotiert, gestiftet vom Gründungspartner HeidelbergCement, und wird von nun an jährlich an Kulturschaffende vergeben, die sich durch einen außergewöhnlichen persönlichen Einsatz substanziell und nachhaltig um die Vermittlung von klassischer Musik verdient machen. Erster Preisträger ist der dem „Frühling“ seit vielen Jahren eng verbundene Künstler Jörg Widmann.
Der Austausch unter Künstlern sowie zwischen Künstlern und Publikum stand im Zentrum der Festival Akademie, bei der es einige Neuerungen gab. Pianist Igor Levit wurde zum Künstlerischen Leiter der Kammermusik Akademie ernannt und hat mit seiner anspruchsvollen Repertoireauswahl bereits in seinem ersten Jahr Akzente gesetzt. Gemeinsam mit den Dozenten Jörg Widmann, Maximilian Hornung (Cello) und Ning Feng (Geige) bot er dem Publikum neben zahlreichen Akademiekonzerten auch die Gelegenheit, in öffentlichen Kursen und Workshops an der intensiven musikalischen Arbeit mit den Stipendiaten teilzuhaben. Die Akademie Junger Komponisten unter der Leitung von Matthias Pintscher erlebte eine gefeierte Uraufführung des Liederzyklus‘ „...unendlicher Geheimnisse schweigender Bote“ von Ulrich Alexander Kreppein. Es ist ein Auftragswerk des „Heidelberger Frühling“, das der Komponist als Gewinner des Jurypreises der vorigen Komponisten-Akademie verfasst hatte. Diesjähriger Preisträger ist der Israeli Amir Shpilman, der ein Auftragswerk für das Festival 2014 komponieren wird. Den Publikumspreis in Höhe von 2.000 Euro erhielt der US-Amerikaner Andy Akiho. Bei der Lied Akademie konnte man die öffentlichen Meisterkurse des Künstlerischen Leiters Thomas Hampson erstmals live im Internet verfolgen. Als weitere Dozenten arbeiteten der Pianist Wolfram Rieger und erstmals Bariton Thomas Quasthoff mit den zwölf eingeladenen Stipendiaten aus acht Ländern.
Große Resonanz gab es auf den ersten Kongress des „Heidelberger Frühling“, bei dem Festivalintendant Thorsten Schmidt mit den renommiertesten Persönlichkeiten der Musikwelt über die Aufgaben und die Zukunft von Festivals diskutierte, darunter die Intendanten der Berliner Philharmoniker, der Hamburger Elbphilharmonie, der Salzburger Festspiele und der Wiener Festwochen. „Die vielbeschworene ‘Krise des Konzerts’ gibt es meiner Meinung nach nicht“, fasst Schmidt eine der bei der Tagung lebhaft diskutierten Thesen zusammen. „Auch wenn die Demographen uns vorrechnen, dass das Publikum abnehmen und es zu einer noch deutlicheren Ausdifferenzierung der Publikumsgruppen kommen wird, können wir dieser Entwicklung entgegenwirken – so das Fazit der Tagung – mit einem kreativen Programmkonzept, das die Bedürfnisse der Besucher nach Kommunikation, Gemeinschaft und vor allem intensiver Auseinandersetzung mit Kunst ernst nimmt.“
Der „Heidelberger Frühling“ setzt diese Einsicht bereits seit längerem um, unter anderem durch die Beschäftigung mit neuen Präsentationsformen, auch vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung, die Einbeziehung des Publikums in kommunikative und künstlerische Prozesse sowie durch Schwellen senkende Angebote für jüngeres Publikum und Klassik-Einsteiger. Ein Beispiel aus dem diesjährigen Programm ist die vom Hauptförderer MLP präsentierte neue „Late Night Lounge“, die Musik in einem Rahmen bietet, der die ritualisierte Atmosphäre klassischer Konzerthäuser bewusst aufbricht. In kommunikativer Clubatmosphäre waren hochkarätige Künstler wie der Komponist Matthias Pintscher oder der Komponist und Klarinettist Jörg Widmann zu hören, die ihre Konzerte selbst moderierten und mit unkonventionell konzipierten Programmen überraschten. Unkonventionelle Wege ging auch das Musiktheaterprojekt „Sampled Identity“, ein Gemeinschaftsprojekt des Ensemble Resonanz und der HipHopAcademy Hamburg, bei der klassischer Streicherklang eine Verbindung mit Rap, Hip-Hop und Breakdance eingeht. Der „Alternative Frühling – Festival für Musik und Subkultur“ schließlich bot einen Raum für musikalische Grenzgänge von elektronischer Avantgarde bis zur Fusion von Klassik und Folk.
Vor diesem Hintergrund ist auch das im Januar lancierte Multimediaprojekt 60tagefruehling.de zu sehen. Es erweitert eine Kernidee des „Heidelberger Frühling“, dem Publikum Teilhabe an künstlerischen Prozessen zu ermöglichen, in den virtuellen Raum. Dafür begleitete ein von einem Studenten der Macromedia Hochschule München geleitetes Filmteam im Vorfeld und während des Festivals Künstler und Festivalmacher und gab in wöchentlichen Kurz-Reportagen Einblicke in die Entstehung des Festivals. Vielfältige Feedbackoptionen luden zur Interaktion ein, so dass die Besucher aktiv den langen Weg von der ersten künstlerischen Idee bis zum fertigen Festival begleiten konnten. Unter anderem konnte man bei „60tagefruehling“ Thomas Hampson bei den Auswahlvorsingen für die Lied Akademie über die Schulter schauen, Proben von John Neumeiers Bundesjugendballett beiwohnen und Ulrich Alexander Kreppein kurz vor der Fertigstellung seines Auftragswerks einen Besuch in Berlin abstatten. Neben den freitäglichen Mini-Reportagen gab es auf 60tagefruehling.de 18 ausführliche Podcasts, entweder als Audiobeitrag oder als Video von Filmemacherin Iris Hartmann, mit denen man noch tiefer in die Materie einsteigen konnte. Jounalist Jörg Tröger führte dafür ausführliche Musikerinterviews, in denen die künstlerischen Ideen hinter den Programmen beleuchtet wurden. Und an den Tagen zwischen Podcasts und Filmen lüfteten kurze Textbeiträge und Fotos regelmäßig den Vorhang für einen Blick hinter die Kulissen.
„Wir befinden uns in Zeiten eines gravierenden Wandels von der Informationsgesellschaft zu einer Gesellschaft der Mitwirkung“, so Festivalintendant Thorsten Schmidt. Gerade der Kulturbereich habe hier eine Vorreiterfunktion einzunehmen. „Bei unseren Veranstaltungen haben wir immer schon Formate geschaffen, bei denen die Begegnung mit Künstlern im Zentrum stand, der Austausch, das Abbauen von Schwellen. Neu ist, dass wir dies nun auch stark auf den virtuellen Raum ausweiten und so auch den Prozess der Entstehung des Festivals transparent machen.“ Damit werden das Internet und insbesondere Social Media nicht in erster Linie zu Werbekanälen des „Heidelberger Frühling“, sondern Teil der künstlerischen Arbeit des Festivals.